Hercules K50RE - Willkommen im Schwingerclub!
Wie kommt man auf die Idee, eine Hercules K50 zu restaurieren?
Sicher könnte Sigmund Freud das ganz gut erklären…
Bei mir begann das „Übel“ anno 1982, im zarten Alter von 16 Jahren, als der 80er- Boom gerade auf seinem ersten Höhepunkt war: Ich war seit etwa einem Jahr stolzer Besitzer eines Peugeot 103 SP mit den üblichen optischen und technischen Modifikationen – natürlich nur, um die Radfahrer etwas auf Distanz zu halten. Mein Banknachbar in der Schule (wir hatten gerade gemeinsam in der 11. Klasse des TG angefangen) hatte so eine Hercules. Sie war damals schon etwas betagt, mit einem ausgelutschten Motor und todschicker Airbrush- Lackierung auf Tank und Seitendeckel.
Und so begab es sich, dass anlässlich des ersten gemeinsamen Klassengrillfestes diverse Fahrzeuge diverser Klassenkameraden getestet wurden.
Das Pech meines Peugeot- Mofas war, dass ein Amateur- Motocrosser mit ungefähr dem gleichen Eigengewicht wie das Mofa die Federung auf Herz und Nieren prüfte – das daraufhin fällige Scheinwerferglas und den Chromring hat er anschließend anstandslos ersetzt…
Für mich war es das erste Mal, dass ich ein Zweirad fuhr, das zwar nicht mehr Hubraum als mein Mofa hatte, dafür aber 5 Gänge, 6,25 PS und eine Schwinggabel – und der „Fahrstuhleffekt“ beim Bremsen war einfach phänomenal!
Bis zur eigenen Hercules sollte es jedoch noch einige Jährchen dauern:
Mit 18 und somit dem Führerschein Klasse 1 in der Tasche wurden die Mopeds auf einen Schlag uninteressant.
An meine erste Liebe erinnerte ich mich erst wieder nach zwei Vereinsausfahrten in die Schweiz (an dieser Stelle nochmals herzlichen Dank an Oli, der mit dem Verleihen seiner goldenen Zündapp viel Leidensfähigkeit bewiesen hat). Bei diesen Touren hatte ich mich erfolgreich auf den zweiten Platz in der ewigen Rangliste der „Freunde der Schwerkraft“ vorgearbeitet, was jedoch zur Folge hatte, dass die Kosten für die anfallenden Sturzreparaturen in etwa auf dem Niveau einer Mopedrestaurierung lagen. So lag der Entschluss nahe, diese Kosten, die nach meiner Ansicht zu den laufenden Unterhaltskosten zählen, eigentlich in ein eigenes Fahrzeug investiert werden sollten…
Also wurde erstmal ein Lastenheft aufgestellt:
Der bärenstarke Motor der Zündapp hatte mich zwar überzeugt, die Fahrerlebnisse wurden jedoch von der weichen Telegabel und dem Getriebe mit den seeeehr langen Schaltwegen getrübt. Es war schon erstaunlich, welches Eigenleben die Telegabel in schnell gefahrenen Kurven entwickeln konnte. Da bergab fahren natürlich auch Spaß macht, sollte also ein stabiles Fahrwerk her. Und da Wasserkühlung- Fahrer bekanntlich auch kleine Kinder schlagen und Scheibenbremsen an einer 50er für Warmduscher sind, waren Kühlungskonzept und Verzögerungsart schnell geklärt.
So begab es sich im Jahre des Herrn 2002, dass der Kofferraum eines gewissen blauen Opel Astra gemeinsam von Bernd W. (Stammausrüster der Veteranenfreunde in Sachen Sachs) und meiner Wenigkeit mit vielen mehr oder weniger sauberen und mehr oder weniger brauchbaren Teilen gefüllt wurde. Zuhause angekommen wurde das „Puzzle für große Jungs“ erstmal grundgereinigt und provisorisch zusammengesteckt, um zu überprüfen, ob alle wesentlichen Teile auch vorhanden sind und welchen Umfang das Projekt haben sollte. An erster Stelle stand die dünne Finanzdecke, die bei der Restaurierung noch so manchen Kompromiss erzwingen sollte...
Trotz dieser doch eher belastenden Vorgabe sollte aus der im Original etwas biederen Hercules ein kleiner Renner werden, bei dem die im Lauf der Jahre angesammelten Phantasien verwirklicht werden sollten (wie schreibt man eigentlich orischinal?).
Im Einzelnen bedeutete das folgendes:
* Breiterer Hinterreifen auf breiterer Felge, da die serienmäßigen 2,75x17 doch eher die Dimension von Rasierklingen haben…
* Ersatz des originalen Rücklichts durch ein designtechnisches Schmankerl
* Verzicht auf die serienmäßige „Hoch- Sitz- Bank“
* Verzicht auf die voluminösen Seitendeckel
* Kürzung der Schutzbleche (gestaltete sich vorne schwieriger als hinten)
* Verwendung eines Magura-M-Lenkers (ohne Rücksicht auf Bandscheiben und Handgelenke)
* Minimalelektrik
* Das ganze Gefährt sollte auf Diät gesetzt werden (mit Ausnahme des Hinterrades), um mangelnde Motorleistung zu kompensieren
* Umbau der Original-Instrumente: Verkleinerung des Drehzahlmesserbechers und Verwendung eines Fahrrad- Tachos
* Anbau von klappbaren Fußrasten, um das Verhalten im Grenzbereich zu optimieren
* Verwendung von längeren hinteren Federbeinen zur Erhöhung der Schräglagenfreiheit und Verbesserung von cw- Wert und Optik durch ein höheres Heck
* Anbau eines Seitenständers, da nach Einbau des Hinterreifens in der Dimension 110x17 der Hauptständer nicht mehr passte
Los ging die Restaurierung mit dem dringend notwendigen Gang zum Sandstrahler, um die im Lauf der Jahre angefallenen verschiedenen Lackschichten vom Stahl zu trennen. Anschließend schmirgelte ich die diversen mehr oder weniger zugänglichen Oberflächen, um sie dann mit der Sprühdose zu grundieren und zu lackieren. Nach dieser Aktion kam ich zu dem Entschluss, dass das Lackieren mit der Sprühdose in der Summe nicht viel günstiger als eine professionelle Lackierung, dafür der Lack aber um einiges weicher und somit empfindlicher gegenüber Beschädigungen ist. Bei der Lackfarbe orientierte ich mich in etwa an einer der Original- Lackierungen, Rahmen in Silber, Tank in signal- orange. Die Schwinge lackierte ich im Gegensatz zum Original in Silber und die Motorhalterungen um Akzente zu setzen in orange.
Alle Aluteile wurden poliert, wobei das Polieren der Lenkerarmaturen nur von temporärem Erfolg gekrönt war, da diese nach dem ersten Winter hässlich dunkel angelaufen waren, was einmal jährlich zeitraubendes Nachpolieren erforderlich macht.
Nach der Anschaffung neuer Speichen und Felgen machte ich meine ersten Versuche mit dem Einspeichen und Zentrieren. Dabei stellte ich fest, dass ein anständiges Zentrieren des Vorderrades aufgrund der mangelhaften Qualität der sehr billigen italienischen Felge fast unmöglich ist. Bei der hinteren Felge ergatterte ich nach langem Suchen ein günstiges deutsches Exemplar, bei dem aufgrund der sprichwörtlichen Qualität der Aufwand für Einspeichen und Zentrieren um den Faktor 2-3 niedriger lag.
In der Zwischenzeit war mir noch eine K50 RL zugelaufen, die ich als Teileträger verwendete, da doch noch so manches Kleinteil fehlte wie z.B. die außerordentlich wichtige Motoplat- Zündung sowie ein Tank mit brauchbarem Chrom. Da das Tankdesign der RL sich jedoch wesentlich vom Tankdesign der RE unterscheidet, habe ich in mühevoller Kleinarbeit den Lack vom verchromten Tank gekratzt, um eine teure Neuverchromung zu vermeiden und das dadurch gesparte Geld für eine professionelle Tanklackierung zu verwenden.
Der Motor wurde lediglich gereinigt und der bessere Zylinder mit Kolben verbaut.
Nachdem alle Verschleißteile wie Radlager, Schwingenlager, Kette, Ritzel und Bremsbeläge erneuert wurden, ging es an den Zusammenbau. Hierbei kamen selbstverständlich neue Schrauben und wenn möglich selbstsichernde Muttern zum Einsatz.
In der Phase experimentierte ich mit verschiedenen Sitzbänken (unter anderem der originale Hochsitz, verschiedene Höckersitzbänke sowie eine Sitzbank von der K125). Schließlich entschied ich mich für die Sitzbank von der 125er, die sich als etwas zierlicher als die originale und um einiges bequemer als die selbstgebauten Rennhöcker herausstellte (man wird auch nicht jünger).
Eine weitere Herausforderung stellte das Cockpit dar. Da mir das Originalteil zu groß und klobig war, habe ich mir ein Stück Alublech besorgt. Dieses bearbeitete ich dann so lange, bis es unter die Lenkerhalterung passte und sich zur Aufnahme des Drehzahlmessers eignete. Dabei musste der originale Drehzahlmesserbecher etwas gekürzt werden, um flacher zu werden. Als Tachometer kam ein Sigma- Fahrradtacho zum Einsatz – und zwar die Variante mit Kabelverbindung zum Signalgeber, da frühere Versuche mit Fahrradtachos gezeigt haben, dass die Funkvariante aufgrund der Störsignale der Zündspule eher zum Drehzahlmesser als zum Tachometer taugt.
Das Rücklicht stammt von einem Traktor – an dieser Stelle vielen Dank an Stefan für die Spende – und wurde später auch wie der Scheinwerfertopf vorne in signalorange lackiert. Selbstredend, dass für dieses Rücklicht kein Rücklichthalter existierte. Dieser wurde als Kombination aus Rücklicht- und Nummernschildhalter aus Aluminiumblech (jaja, das Gewicht) ausgesägt und gebogen. Da dieser aber den Vibrationen nur bedingt standhielt, habe ich ihn durch ein Edelstahlteil ersetzt.
Zur Fleißarbeit entwickelte sich das Anpassen der klappbaren Fahrerfußrasten, da hier die originalen 12 Rundlöcher an die 14er Vierkantaufnahmen der Haltestreben mittels Schlüsselfeile und viel Geduld angepasst werden mussten. Da die vorderen Fußrasten von Yamaha stammen (genaues Modell unbekannt), wurden die Beifahrerfußrasten zum Ausgleich aus dem Fundus meiner Z 650 – Reste rekrutiert und aufgearbeitet.
Nachdem alle polierbaren Alu- und Chromteile endlich auf Hochglanz poliert und die Elektrik auf ein Minimum reduziert waren – auch Schmutz, Kabel und Batterie sind unnötiger Ballast – neigte sich die Restaurierung dem Ende zu und rückte die erste Probefahrt immer näher.
Erste Testfahrten mit Zubehörluftfilter brachten etwa 1.000 U/min mehr als der originale Luftfilter, dafür aber ein schmaleres nutzbares Drehzahlband und eine imposante Geräuschkulisse, so dass ich, auch zur Nervenschonung, gerne darauf verzichtete.
Die höhere Kurvenneigung aufgrund des breiteren Hinterreifens stellt aufgrund der serienmäßig schon üppigen und durch die 3 cm längeren Stoßdämpfer noch etwas erhöhten Schräglagenfreiheit kein Problem dar, trotz sehr gewagter Fahrversuche auf Schweizer Alpenpässen. Da ich schon beim Fahrverhalten bin: das Fahrwerk in Verbindung mit der Schwinge ist über jeden Zweifel erhaben und würde sicher auch mehr Leistung und mehr Hubraum ohne mit der Wimper zu zucken locker wegstecken. Die Motorleistung lässt doch zu wünschen übrig, was aber auch an dem verbauten Motor im Originalzustand liegen kann. Die Schaltwege sind nur unwesentlich kürzer als bei der Zündapp…
Ursprünglich wollte ich auf Telegabel umbauen, da man mit der Schwinge aufgrund des Fahrstuhleffektes leider keine „Stoppies“ machen kann. Aber nach inzwischen 3 Ausfahrten in die Schweiz habe ich meine „Affenschaukel“ schätzen gelernt. Es ist einfach ein beruhigendes Gefühl, wenn man genau an dem Punkt die Kurve verlässt, den man zum Kurvenbeginn anvisiert hat – auch wenn dadurch so manches Überraschungsmoment verloren geht!
Als Glücksgriff erwiesen sich auch die Reifen, Marke Conti City. Neben der ansprechenden Optik bewährten sie sich auf trockener Straße genauso wie im strömenden Regen, wo sie ein kalkulierbares Verhalten im Grenzbereich an den Tag legten. Lediglich beim Abwinkeln auf weißen Linksabbiegepfeilen kann man die Haftung verlieren. Aber ich glaube, das liegt eher an den Straßenmarkierungen als an den Reifen und die dadurch entstehenden Kosten wurden eh bei den Unterhaltungskosten mit einkalkuliert.
Zur Zeit werden Überlegungen angestellt, die Motorleistung wieder auf das Niveau der originalen 6,25 PS zu bringen, da die Positionskämpfe mit der gebläsegekühlten Kreidler bei den Bergauffahrten doch eher nerven. Bei den Abfahrten kann dann jedoch die alte Reihenfolge wieder hergestellt werden.
Ein Wort noch für Originalitäts-Fanatiker: bemüht euch nicht, aufzuzählen, was nicht original ist, sondern schaut mal, ob ihr noch was originales daran findet – quasi ein Bilderrätsel für selbsternannte Spezialisten und die, die früher die allergleiche hatten, nur ganz anders!